Kunsthandlung Huber und Treff, Jena 2016


Links: Scheibe 16, 19, 20, 4, 22, 21, 1999-2015, Öl auf Holz, Durchmesser 40+50 cm
Rechts: Blätter 11, 2012, Öl auf Leinwand, 80 x 180 cm




v.l.n.r.: Blätter 16, 8, 32, 2010-2014, Aquarell auf Papier, jeweils Durchmesser 30 cm



Eröffnungsrede von Nadine Rall, Kunsthistorikerin:


Willkommen im Grünen – Willkommen in Mitten der Natur!
Oder sollte ich besser sagen: Willkommen bei einer Blattbeschau, die in diesen Räumen unseren Augen ermöglicht wird.

Andreas Hentrichs Bilder erlauben uns einen Blick auf die unterschiedlichsten Arten von Blättern. Dafür müssen wir uns nicht einmal herabbeugen oder gar niederknien. Auch das Vergrößerungsglas oder das Hineintauchen in den Strauch können wir getrost vernachlässigen. Denn all das hat bereits der Künstler für uns getan, und dabei jedes Detail, jede Eigenart des jeweiligen Blattes genaustens festgehalten. So genau, dass erst auf den zweiten oder gar dritten Blick deutlich wird, dass es sich bei diesen Bildern um keine Fotografien handelt, sondern um Gemälde aus Öl und Aquarell. Die hohe Brillanz und Präzision, mit der Andreas Hentrich arbeitet, erbringt in meinen Augen den Beweis für ein Argument, das schon vor 150 Jahren im Streit zwischen Malern und Fotografen Anwendung fand; ein Argument, das gleichsam die Antwort auf zweierlei Fragen war und ist. Denn als die Fotografie in der Mitte des 19. Jahrhunderts als neues Medium der Wirklichkeitsabbildung aufkam, stellte sich zu Recht die Frage, ob es der Malerei überhaupt noch bedarf, oder ob sie nicht vielmehr mit dem neuen technischen Verfahren überholt sei. Der Streit zwischen den beiden Kunstgattungen kreiste daher stets um die Fragen: Welches Mittel bildet die Realität besser ab – die Malerei oder die Fotografie? Kann die Malerei etwas, was die Fotografie nicht kann? Auf beide Fragen gibt Andreas Hentrich heute, über 150 Jahre später, seine eigene Antwort: Die Malerei bildet die Realität ebenso gut ab, wie die Fotografie, aber sie kann mehr! Denn sie fängt auch das ein, was den technischen Möglichkeiten der Fotografie verwehrt bleibt: Die Aura des Objekts.

Dies gelingt ihm – meines Erachtens –, indem er bestimmte Farben pointiert übersteuert, sodass einzelne Blätter oder Blattteile eine Art inneres Leuchten entfalten und dadurch den Betrachter in ihren Bann ziehen, ihn hinein locken in ihren Bildraum. Manche Gemälde setzen dabei ein einzelnes Blatt derart in den Mittelpunkt, dass seine Anziehungskraft nochmals gesteigert wird. Denn durch den Einsatz von Unschärfen kombiniert mit der Auswahl bestimmter Formen und Draufsichten erscheinen die Pflanzen äußerst fleischlich-organisch bis hin zu fremdartig; als würden sie von einem anderen Planeten stammen. Andere Bilder hingegen, insbesondere die „Scheiben“, verweigern uns den Blick auf das ganze Blatt und geben lediglich einen Ausschnitt davon wieder. Durch das ungewöhnliche kreisrunde Format der Scheiben und die strikte Draufsicht entsteht der Eindruck, durch ein Mikroskop zu blicken: Jede Blattader, jede Struktur, jede kleine Unebenheit, jede Farbabweichung tritt in aller Klarheit heraus. Dies sind die Momente, in denen Andreas Hentrichs Wesen am deutlichsten aus seinen Bildern hervor blitzt: Als gelernter Gemälderestaurator beweist er in diesen Werken seine innere Verfassung, kleinteilig, geduldig und mit höchster Akribie die winzigen Details mosaikartig zu einem Blattwerk zusammenzufügen. Möglicherweise beeinflussten auch seine Japan-Aufenthalte das konzentrierte Tätigsein, das ganz dem japanischen Zen entspricht. Folglich entsteht eine nahezu übersteigerte Kultur des Malens, die jene Illusion von Natur erzeugt, die wir sonst nur von Fotografien gewohnt sind.

Andreas Hentrich nutzt seine fotorealistischen Gemälde, um alltägliche Gegenstände zurück in den Fokus der Aufmerksamkeit zu bringen. So adeln sie in dieser Schau all jene Blätter, die uns tagtäglich umgeben, und laden uns dazu ein, wieder einmal genauer hinzuschauen und die einzigartigen Formen, Farben und Linien, die die Natur darbietet, ganz bewusst zu betrachten.

„Blattwerk“ meint daher mehr als die reine Präsentation der Hentrich‘schen Gemälde; sie zeigt uns die Vielfalt des Blattwerkes und gleichzeitig ein künstlerisches Werk über Blätter.

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